Die
indische Regierung weigert sich bislang, ein internationales
Klimaschutzabkommen zu unterzeichnen, hat aber Maßnahmen zum Schutz des
Klimas im eigenen Land angekündigt. Denn das Land spürt bereits die
Folgen des Klimawandels.
"An
diesem Nachmittag blies der Wind immer stärker. Blätter und Äste flogen
durch die Luft. Einzelne Wellen überspülten den Deich, bis er
schließlich brach und die Flut hereinkam. Die Lehmmauern unseres Hauses
hielten der Strömung nicht stand und stürzten in die Fluten. Wir
konnten uns gerade noch auf eine höher gelegene Straße retten."
Als
der Wirbelsturm Aila am 25. Mai 2009 mit Windgeschwindigkeiten von bis
zu 160 Stundenkilometern über das Delta des Ganges fegte, verlor Kamal
Patra alles, was er besaß. Seither lebt er mit seiner sechsköpfigen
Familie in einer Bambushütte am Straßenrand und hält sich mit
Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Seine Nachbarin Arati Dhauria
überlebt mit Unterstützung ihres Sohnes, der im fernen Kalkutta auf
Baustellen schuftet.
"Fast jedes
Jahr erleben wir hier einen Sturm. Aber Aila war so verheerend wie
keiner zuvor. Darauf waren wir nicht vorbereitet."
Mehr
als zehn Millionen Menschen leben in der weiten Deltalandschaft, die
die Riesenflüsse Ganges und Brahmaputra in Bengalen mit ihren
Sedimenten bilden. Ein Drittel des Gebietes liegt in Indien, der
größere Teil gehört zu Bangladesch: Tausende kleiner und großer Inseln,
zweimal täglich überspült von der Flut. Erst wenn der natürliche
Mangrovenwald gerodet ist und die Inseln durch Deiche vor der salzigen
Flut geschützt sind, ist menschliches Leben hier überhaupt möglich.
Zwar ist der Boden fruchtbar und der Regen mehr als genug, aber das
Leben der Bauern ist ein ständiger Kampf gegen Flutwellen, Deichbrüche
und tropische Stürme. Mit dem Klimawandel werden sich ihre Probleme
drastisch verschärfen. Und der hat bereits begonnen, meint Professor
Sugata Hazra von der Jadavpur Universität in Kalkutta.
"Die
Anzahl und Heftigkeit von Wirbelstürmen nimmt zu. Wir stellen auch
fest, dass sich die Muster des Regenfalls im Monsun verschieben. Und
das kann für die Landwirtschaft bedrohlich werden."
Der
Klimawandel konfrontiert Indien mit Fluten und Dürren, mit
Nahrungsknappheit und Migrantenströmen. Doch die Sorge um die Zukunft
wird von brennenden Problemen der Gegenwart überschattet.
Wirtschaftliche Entwicklung hat hier eindeutig Vorrang vor Klimaschutz.
Neu-Delhi weigert sich bisher strikt, Verpflichtungen zur Begrenzung
des indischen Klimagasausstoßes zu akzeptieren. Dennoch hat die
Regierung Schritte unternommen, um die Emissionen zu begrenzen: Es gibt
Abgasnormen für Kraftfahrzeuge und ein Gesetz zur Reinhaltung der Luft.
Die Regierung hat die Öl- und die Energiewirtschaft verpflichtet, mehr
als zehn Prozent ihrer Produkte aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen.
Im Bereich alternativer Energien besetzt Indien unter den Ländern des
Südens schon heute eine Spitzenposition.
"Indiens
Potenzial zur Erzeugung von Windenergie wird auf 45.000 Megawatt
geschätzt. Berücksichtigt man auch die Möglichkeiten im
Offshorebereich, könnten wir sogar 100.000 Megawatt erzeugen. Ich
hoffe, dass Windkrafträder im Jahr 2030 rund 15 Prozent des indischen
Energiebedarfs decken."
Tulsi Tanti schaut voller
Zuversicht in die Zukunft. Er führt die Firma Suzlon Energy, einen
weltweit operierenden Konzern und Indiens führenden Hersteller von
Windkraftanlagen. Tulsi Tanti begann, Windkraftanlagen zu bauen, weil
seiner Textilfabrik wegen ständiger Stromausfälle der Bankrott drohte.
Dieselbe Mangellage bewegte Indiens Regierung schon vor mehr als 20
Jahren, ein Ministerium für die Förderung alternativer Energien
einzurichten.
Heute ist Indien der viertgrößte
Windstromproduzent der Welt, der zweitgrößte Betreiber von
Biogasanlagen. Ein neuer, in diesem Jahr verabschiedeter
Klimaaktionsplan sieht großflächige Aufforstung der Wälder und den
massiven Ausbau der Solarenergie vor. Der Vorsitzende des
wissenschaftlichen Klimarates der UNO, der Inder Rajendra Pachauri,
wünscht sich, sein Land möge die Fehler der Industrienationen vermeiden.
"Ich
glaube nicht, dass wir denselben Entwicklungsweg wie die
Industrieländer einschlagen müssen. Wir könnten viel mehr auf
Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzen, ohne unsere
Wirtschaftsentwicklung zu gefährden."
Die Gesetze des
Marktes diktieren, dass Indien die für die Wirtschaftsentwicklung
nötige Energie möglichst kostengünstig herstellt, mit fossilen
Brennstoffen also. Einzig die Windkraft kann heute preislich mit Kohle
und Erdöl konkurrieren. Solarenergie ist hier viel zu teuer. Beim
Klimagipfel in Kopenhagen geht es Indien vor allem um finanzielle und
technische Hilfe aus den Industriestaaten. Damit könnte der Anteil
sauberer Energiequellen an der Versorgung des Landes erhöht werden.