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10.12.2009 · 11:35 Uhr
Überschwemmungen im Norden Indiens (2007) (Bild: AP) Überschwemmungen im Norden Indiens (2007) (Bild: AP)

Fluten, Dürren, Flüchtlinge

Die Folgen des Klimawandels in Indien

Von Rainer Hörig

Die indische Regierung weigert sich bislang, ein internationales Klimaschutzabkommen zu unterzeichnen, hat aber Maßnahmen zum Schutz des Klimas im eigenen Land angekündigt. Denn das Land spürt bereits die Folgen des Klimawandels.

"An diesem Nachmittag blies der Wind immer stärker. Blätter und Äste flogen durch die Luft. Einzelne Wellen überspülten den Deich, bis er schließlich brach und die Flut hereinkam. Die Lehmmauern unseres Hauses hielten der Strömung nicht stand und stürzten in die Fluten. Wir konnten uns gerade noch auf eine höher gelegene Straße retten."

Als der Wirbelsturm Aila am 25. Mai 2009 mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 160 Stundenkilometern über das Delta des Ganges fegte, verlor Kamal Patra alles, was er besaß. Seither lebt er mit seiner sechsköpfigen Familie in einer Bambushütte am Straßenrand und hält sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Seine Nachbarin Arati Dhauria überlebt mit Unterstützung ihres Sohnes, der im fernen Kalkutta auf Baustellen schuftet.

"Fast jedes Jahr erleben wir hier einen Sturm. Aber Aila war so verheerend wie keiner zuvor. Darauf waren wir nicht vorbereitet."

Mehr als zehn Millionen Menschen leben in der weiten Deltalandschaft, die die Riesenflüsse Ganges und Brahmaputra in Bengalen mit ihren Sedimenten bilden. Ein Drittel des Gebietes liegt in Indien, der größere Teil gehört zu Bangladesch: Tausende kleiner und großer Inseln, zweimal täglich überspült von der Flut. Erst wenn der natürliche Mangrovenwald gerodet ist und die Inseln durch Deiche vor der salzigen Flut geschützt sind, ist menschliches Leben hier überhaupt möglich. Zwar ist der Boden fruchtbar und der Regen mehr als genug, aber das Leben der Bauern ist ein ständiger Kampf gegen Flutwellen, Deichbrüche und tropische Stürme. Mit dem Klimawandel werden sich ihre Probleme drastisch verschärfen. Und der hat bereits begonnen, meint Professor Sugata Hazra von der Jadavpur Universität in Kalkutta.

"Die Anzahl und Heftigkeit von Wirbelstürmen nimmt zu. Wir stellen auch fest, dass sich die Muster des Regenfalls im Monsun verschieben. Und das kann für die Landwirtschaft bedrohlich werden."

Der Klimawandel konfrontiert Indien mit Fluten und Dürren, mit Nahrungsknappheit und Migrantenströmen. Doch die Sorge um die Zukunft wird von brennenden Problemen der Gegenwart überschattet. Wirtschaftliche Entwicklung hat hier eindeutig Vorrang vor Klimaschutz. Neu-Delhi weigert sich bisher strikt, Verpflichtungen zur Begrenzung des indischen Klimagasausstoßes zu akzeptieren. Dennoch hat die Regierung Schritte unternommen, um die Emissionen zu begrenzen: Es gibt Abgasnormen für Kraftfahrzeuge und ein Gesetz zur Reinhaltung der Luft. Die Regierung hat die Öl- und die Energiewirtschaft verpflichtet, mehr als zehn Prozent ihrer Produkte aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. Im Bereich alternativer Energien besetzt Indien unter den Ländern des Südens schon heute eine Spitzenposition.

"Indiens Potenzial zur Erzeugung von Windenergie wird auf 45.000 Megawatt geschätzt. Berücksichtigt man auch die Möglichkeiten im Offshorebereich, könnten wir sogar 100.000 Megawatt erzeugen. Ich hoffe, dass Windkrafträder im Jahr 2030 rund 15 Prozent des indischen Energiebedarfs decken."

Tulsi Tanti schaut voller Zuversicht in die Zukunft. Er führt die Firma Suzlon Energy, einen weltweit operierenden Konzern und Indiens führenden Hersteller von Windkraftanlagen. Tulsi Tanti begann, Windkraftanlagen zu bauen, weil seiner Textilfabrik wegen ständiger Stromausfälle der Bankrott drohte. Dieselbe Mangellage bewegte Indiens Regierung schon vor mehr als 20 Jahren, ein Ministerium für die Förderung alternativer Energien einzurichten.

Heute ist Indien der viertgrößte Windstromproduzent der Welt, der zweitgrößte Betreiber von Biogasanlagen. Ein neuer, in diesem Jahr verabschiedeter Klimaaktionsplan sieht großflächige Aufforstung der Wälder und den massiven Ausbau der Solarenergie vor. Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Klimarates der UNO, der Inder Rajendra Pachauri, wünscht sich, sein Land möge die Fehler der Industrienationen vermeiden.

"Ich glaube nicht, dass wir denselben Entwicklungsweg wie die Industrieländer einschlagen müssen. Wir könnten viel mehr auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzen, ohne unsere Wirtschaftsentwicklung zu gefährden."

Die Gesetze des Marktes diktieren, dass Indien die für die Wirtschaftsentwicklung nötige Energie möglichst kostengünstig herstellt, mit fossilen Brennstoffen also. Einzig die Windkraft kann heute preislich mit Kohle und Erdöl konkurrieren. Solarenergie ist hier viel zu teuer. Beim Klimagipfel in Kopenhagen geht es Indien vor allem um finanzielle und technische Hilfe aus den Industriestaaten. Damit könnte der Anteil sauberer Energiequellen an der Versorgung des Landes erhöht werden.