Langsam und geduldig schiebe ich mich durch das Gewühl. In den Gassen der Altstadt geht man auf Tuchfühlung mit seinen Mitmenschen, mit Handwerkern und Hausfrauen, mit Händlern und Taschendieben, mit Laufburschen, die heißen Tee auf einem Tablett balancieren. Filmlieder plärren aus billigen Lautsprechern, Händler rufen Preise aus. Mit lautem Hupen schlängeln sich Motorradfahrer durch die Menge. Und wenn man schließlich an ruhigere Orte gelangt und ein wenig innehält, tauchen Bilder aus einem orientalischen Basar auf, bekommen die Gedanken Flügel. Jetzt wirkt der Zauber von Delhi, der Stadt der Sultane und Mogulen am Rand der Wüste, der geschichtsträchtigen Metropole der Macht, der Kunst und des Kommerzes.
Eine zehnminütige Fahrt mit der Schnellbahn katapultiert den Besucher in eine ganz andere Welt. Am Connaught Place, dem kommerziellen Zentrum, bieten internationale Banken, Boutiquen und Autohäuser ihre Dienste und Produkte an. Moderne Glitzerwelt aus Glas und Beton, mit einem Schuss indischer Würze. Studenten bevölkern den kleinen Park in der Mitte des kreisrunden Platzes, pausieren, picknicken, flirten. Fliegende Händler nutzen die Muße der jungen Leute, um ihnen Sonnenbrillen, Bücher und Textilien anzudrehen. In mobilen Schnellküchen brodelt heißer Tee und scharfes Curry. Baumbestandene Alleen führen durch das südlich angrenzende Regierungsviertel, in dem sich die Mächtigen des Landes in Bungalows aus britischer Zeit eingerichtet haben.
Zweitgrößte Stadt der Welt
Die indische Metropole vereint zwei Städte: einen altorientalischen Basar mit einem modernen Handels- und Verwaltungszentrum. Historikern zufolge geht sie auf acht Stadtgründungen im Mittelalter zurück, durch überwiegend muslimische Fürsten, zuletzt durch die britischen Kolonialherrscher, die 1912 ihre Hauptstadt von Kalkutta hierher verlegten. Ein Bericht der UNO erklärte Neu-Delhi im Juli 2014 überraschend mit 25 Mio. Einwohnern zur zweitgrößten Stadt der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält sie für eine der schmutzigsten, nicht selten erreiche die Luftverschmutzung die Ausmaße von Beijing. Immerhin sind in Delhi mehr Autos unterwegs, als in den drei anderen indischen Metropolen – Mumbai, Kalkutta und Chennai – zusammen!
Als Reisender ist man gut beraten, das nahezu permanente Verkehrschaos zu ignorieren, aber stets auch Verspätungen einzukalkulieren. Die Reize der Stadt lassen den letzten Stau nämlich schnell vergessen. Delhi ist nicht nur ein facettenreiches Geschichtsbuch, sondern auch Einkaufszentrum, Schlemmerparadies und Kulturmetropole. Das reiche historische Erbe manifestiert sich in Ruinen und Monumenten, die überall, manchmal völlig überraschend, im Stadtbild auftauchen: das majestätische Grabmal des Moguls Humayun, ein aus rotem Sandstein und weißem Marmor im 16. Jahrhundert erbautes Mausoleum, das als Vorbild für das Taj Mahal im nahen Agra gedient haben soll. Die gewaltige Jama-Masjid-Moschee in Old Delhi, eines der größten islamischen Gotteshäuser weltweit. Direkt gegenüber die Festung Red Fort, deren gut erhaltenen Teile der Öffentlichkeit zugänglich sind, die aber auch das größte Gefängnis Indiens beherbergt. Der imperiale Präsidentenpalast Raj Bhavan in Neu-Delhi, deren monumentale Sandsteinarchitecktur den britischen Machtanspruch betonte und bis heute der Regierung als Repräsentationsfläche dient. Und da sind halb verfallene Stadttore, prächtige Burgen, unzählige bunte Tempel zu besichtigen. Delhi bietet die reizvolle Chance, Indiens religiöse und kulturelle Vielfalt auf relativ engem Raum zu erleben.
Etwa, wenn sich Tausende von Muslimen im Hof der Jama-Masjid-Moschee zum Freitagsgebet versammeln. Wenn die Sikhs im schneeweißen Tempel Gurudwara Bangla Sahib nahe dem Connaught Place den Geburtstag ihres Gurus Govind feiern, auf meterlangen Stahlplatten Fladenbrote backen und jeden Besucher zu einem köstlichen vegetarischen Mahl einladen. Wenn beim hinduistischen Lichterfest Diwali der mächtige Akshadam-Tempel in Süd-Delhi im Licht von Millionen Glühbirnen erstrahlt und Gläubige die ganze Nacht hindurch der Göttin Lakshmi Öllampen opfern. Delhi beherbergt auch Buddhisten, Christen, Zoroastrier, New-Age-Anhänger.
Überwältigend ist das Shoppingangebot. In vielen Stadtteilen locken riesige Malls mit Glitzerfassaden. In den klimatisierten Konsumtempeln bieten internationale Modemarken ihre Produkte an, zu oft deutlich günstigeren Preisen als in Europa. Moderne Cafés laden zum Plaudern ein, internationale und einheimische Imbissketten stillen den Hunger. Die kühlen Hallen der Malls sind beliebtes Ziel gut betuchter Jugendlicher, die hier ihre Träume vom Leben in Amerika ausleben.
Qualität zu festen Preisen
Wer von indischer Handarbeit fasziniert ist (und wer ist das nicht?), findet in Delhi das beste Angebot weltweit. Handgeknüpfte Teppiche, Silberschmuck, Einlegearbeiten, Holzschnitzereien, Schuhe und Lederhandtaschen und, und, und. Dutzende kleine Buden entlang der Janpath-Straße, die geradewegs vom Connaught Place nach Süden führt, haben ein reichhaltiges Sortiment. Aber hier muss man handeln und den Versprechen der Verkäufer mit Skepsis begegnen.
Wer Qualitätsware zu festen Preisen schätzt, sollte das Central Cottage Industries Emporium, ein paar hundert Meter die Straße entlang, besuchen. Ein großes Kaufhaus, das Handarbeiten aus allen Regionen Indiens anbietet, von der Regierung betrieben, zum Wohl der Handwerker im ganzen Land. Richtig Spaß macht das Einkaufen auch auf der Dilli Haat, einem ständigen Handwerkermarkt nahe der INA-Metrostation.
Dass sich in Delhi so viele kulinarische Traditionen kreuzen, verdankt die Stadt der geografischen Lage und der Geschichte. Neben der dominanten Küche des Punjab, die mit würzigen Saucen brilliert, haben die Geschmäcker der Mogule, würzige Reisgerichte mit ausgefallenen Zutaten, überlebt. Flüchtlinge und Soldaten brachten die Gerichte der Stammeskrieger aus Pakistans Nordosten: mariniertes Fleisch, auf dem Holzkohlegrill (Tandoor) gegart, dazu rauchige Fladenbrote und himmlische Süßspeisen. Delhi beherbergt Zuwanderer aus allen Teilen Indiens, daher kann man hier auch bengalische Fischspezialitäten, südindische Reisbällchen (Idli) mit sauerscharfer Soße (Sambar), kashmirischen Lammreis und Reisplatten (Thali) nach Gujarati-Art bestellen. Vorsicht aber bei den Straßenküchen, die häufig sehr verlockend erscheinen. Ein ordentlicher Durchfall ist hier oft im Preis inbegriffen.
IN DELHI SCHLAFEN, DINIEREN, GENIESSEN
Einreise.
Visum erforderlich, das man frühzeitig beantragen sollte: BLS
International Visa Services Center Contact Info (im Auftrag der
Indischen Botschaft Wien): Hegelgasse 17, Top 9, 1010 Wien, 01/943 72
72, blsindiavisa-austria.com
Anreise. Delhi wird von Wien aus von Austrian Airlines und Air India direkt angeflogen. austrian.com airindia.com
Beste Reisezeit. Oktober bis März. Im Sommer oft über 40°, es regnet häufiger.
Essen
und Trinken.Karim's. Versteckt im Gassengewirr von Old Delhi. Einfache
und gute lokale Küche. Bekannt für seine Huhn- und Lammgerichte. Jama
Masjid, Gali Kababian, Old Delhi, Sector 14, Gurgaon, Haryana; (011)23
26 98 80; karimhoteldelhi.com
Unterkunft.The Claridges, New
Delhi. Das Luxushotel liegt auf gut einem Hektar Land im Herzen des
kolonial geprägten New Delhi. In der Nähe der Präsidentenresidenz
Rashtrapati Bhawan, des India Gate und des viktorianischen
Geschäftszentrums Connaught Place. 12 Aurangzeb Road, New Delhi –
110011, +91/11/39 55 50 00; claridges.com
Daanish Residency. Neues
Dreisternehaus mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. Auf dem Dach ist
ein Restaurant. 12A/19, W.E.A Saraswati marg, Karol Bagh, New Delhi
110005; +91/11/43 73 77 77; hoteldaanish.com
Vivanta by Taj –
Surajkund. Das nicht übertrieben teure moderne Haus im grünen Viertel
rund um das historische Tughlakabad Fort vereint die Vorzüge eines
exklusiven Businesshotels mit denen eines erstklassigen Resorts in
bequemer Nähe zur geschäftigen Hauptstadt. Das Hotel setzt auf
nachhaltige und ökologische Aspekte. Ausgezeichnetes Spa. Shooting Range
Road, Faridabad, 121 001/India +91/129/4190000,
vivantabytaj.com/surajkund-ncr
Wohltätig geführt in Delhi
1.
Crafts Museum. Viele Handwerkskünste sind vom Aussterben bedroht, weil
billige Industrieprodukte sie vom Markt verdrängen. Um diesen Prozess
aufzuhalten und Kunsthandwerker mit neuen Käuferschichten
zusammenzubringen, richtete die Regierung zwischen dem alten Fort Purana
Quila und dem Messegelände Pragati Maidan das Crafts Museum ein. Es
enthält eine permanente Ausstellung ausgewählter Meisterstücke aus allen
Regionen und Kunstgebieten des Landes. Auf dem weitläufigen Gelände
sind Werkstätten für Weber, Töpfer und andere Kunsthandwerker
eingerichtet. Die Besucher können die Künstler bei der Arbeit
beobachten, sich mit ihnen unterhalten und ihre Waren erstehen. Ein
Craft Shop vervollständigt das Angebot, ein kleines Restaurant sorgt für
das leibliche Wohl. http://nationalcraftsmuseum.nic.in (Webseite
schadhaft).
2. Nizzamuddin Dargah und Humayun's Tomb. Mit dem
Eintritt in den großen Park, der das Grabmal des ehemaligen Moguls
Humayun enthält, lässt man das lärmende Chaos der Großstadt hinter sich.
Das tiefrote Gebäude mit seiner weißen Zwiebelkuppel aus Marmor nimmt
den Besucher rasch für sich ein. Da ist er wieder, der Zauber des
Orients! Nur wenige hundert Meter entfernt liegt der Eingang zum
Stadtviertel Nizzamuddin, einem orientalischen Basar, der vom Grabmal
des berühmten Sufi-Meisters gleichen Namens dominiert ist. Besonders
lohnend ist ein Besuch am Donnerstagabend, wenn Sufi-Musiker ihre
Quawwali-Gesänge anstimmen.
3. Führung durch die Gassen von
Paharganj. Im Basar von Old-Delhi herrscht von morgens bis abends
dichtes Gedränge. In den engen Gassen zwischen der großen Moschee und
dem Bahnhof New-Delhi kann man sich schnell verlieren. Exotische Düfte
betören die Sinne, die Stimmen von Marktschreiern konkurrieren mit
Bollywood-Songs aus billigen Lautsprechern. Unzählige Krämerläden,
Sari-Emporien, Fleischhauer und Obsthändler bieten ihre Waren an,
Teebuden und Straßenstände bereiten süße und scharfe Köstlichkeiten zu.
Kompetente und einfühlsame Führungen durch das Paharganj-Viertel
organisiert der Salaam Baalak Trust, eine Wohltätigkeitsorganisation,
die sich um Straßenkinder kümmert und sie als Guides an Touristen
vermittelt. www.salaambalaaktrust.com
4.
Haus Khaz und andere Dörfer. Im Stadtteil Haus Khaz, weit im Süden
Delhis, ist noch die ländliche Atmosphäre, die bis vor wenigen Jahren
die Außenbezirke der Metropole prägte, zu spüren. Farbenfroh getünchte
Ziegelhäuschen, offene Wasserkanäle, holprige, kurvenreiche Straßen.
Hier leben jedoch längst keine Bauern mehr, sondern Geschäftsleute und
Spitzenbeamte, Künstler, Akademiker. Haus Khaz ist seit Jahren quasi das
In-Viertel der Hauptstadt, „the national capital of ethnic chic“ –
davon zeugen die vielen guten Restaurants, Kunstgalerien und Boutiquen,
die jetzt die Straßen säumen und altes, traditionelles Textil- und
Möbeldesign ebenso wie zeitgenössisch Modernes bieten. Im südlichen
Delhi gibt es noch weitere „urbane Dörfer“: Mehrauli, Nizamuddin, Masjid
Moth und andere.
5. Tea Time im Hotel Imperial. Nahezu 250
Jahre herrschte eine Handvoll britischer Beamter und Militärs über den
indischen Subkontinent. Diese koloniale Atmosphäre pflegt das
Fünf-Sterne-Hotel Imperial, die beste Adresse der Stadt. Türsteher mit
Turban und Glacéhandschuhen begrüßen die Gäste. Aristokratischer Prunk
und erlesene Kunstwerke begleiten sie im Inneren. Im „Atrium“, einem
lichtdurchfluteten Innenhof mit weißen Gartenmöbeln, wird um 16 Uhr
„High Tea“ serviert. Anschließend verbringt man ein paar Stündchen auf
dem Lawn (Rasen), bevor man sich zum Dinner in eines der drei
hervorragenden Restaurants begibt. Janpath Lane, Connaught Place,
+91/11/ 23 34 12 34, theimperial.com
6. Kochkurse privat. Ein
praktischer und höchst unterhaltsamer Weg, in die Geheimnisse der
indischen Küche einzutauchen, ist ein privater Kochkurs. Die Kurse
werden meist von engagierten Frauen und Männern in häuslicher Atmosphäre
veranstaltet. Teilnehmer lernen, welche Gewürzmischung für welches
Gericht geeignet ist, wie ein aromatischer Biryani-Reis oder ein
schmackhafter Dal zubereitet werden. Selbstverständlich werden die
Speisen anschließend mit viel Palaver verzehrt. Die Kurse sind meist
privat organisiert und bieten eine gute Gelegenheit, ausgetretene
Touristenpfade zu verlassen und indischen Alltag kennenzulernen. Die
Gebühren für einen halbtägigen Kurs betragen 40 bis 50 US-Dollar pro
Person. delhicookingclass.blogspot.in
7. National Museum. An
der Janpath-Allee südlich vom Connaught-Place steht die Schatzkammer der
Nation, das National Museum. In dem mächtigen Bau aus den 1950erJahren
präsentiert eine alte Kulturnation Kunstwerke und archäologische
Zeugnisse aus 5000 Jahren Geschichte. Einzigartige Exponate sind
Ritualgegenstände und Specksteinsiegel aus den antiken Städten Harappa
und Mohenjo-Daro und mittelalterliche Bronzestatuen aus südindischen
Tempeln. Hier präsentiert sich die kulturelle Vielfalt des Landes in
ihrer höchsten Form. nationalmuseumindia.gov.in
Metro-Service.
Bequem, schnell und preiswert: Die neue Schnellbahn Metro, die teils
überirdisch, teils unterirdisch fährt, ist das mit Abstand beste
Verkehrsmittel in der Millionenstadt. Zwar ist das Streckennetz nicht
mit denen europäischer Metropolen zu vergleichen, aber in der
Kombination mit Taxi und Rikscha kommt man damit praktisch überall hin.
Die Züge sind neu und sauber, und abgesehen vom morgendlichen und
abendlichen Berufsverkehr keineswegs überfüllt. Der Fahrpreis beträgt in
den allermeisten Fällen weniger als einen Euro. Eine Tageskarte kostet
nicht einmal zwei Euro. Mit der Metro lässt sich dem permanenten
Verkehrschaos leicht ein Schnippchen schlagen! delhimetrorail.com
8.
Qutb Minar. Das 72,5 Meter hohe Minarett der mehr als 800 Jahre alten
Quwwat-ul-Islam-Moschee im Süden Delhis ist ein Wahrzeichen der
indischen Hauptstadt. Bei seiner Vollendung im Jahr 1193 galt der Qutb
Minar als architektonisches Meisterwerk. In seinem Inneren führen 372
Stufen auf die Spitze. Zu Füßen des Minaretts ist eine einen halben
Meter dicke Eisensäule in den Boden gelassen, die seit 500 Jahren
rostfrei dem harschen Klima trotzt. Sie trägt Inschriften in der
Brahmi-Sprache, die in der indischen Antike gebräuchlich war, ist also
viel älter als die Moschee. Ein Rundgang durch die Arkaden der
Quwwat-ul-Islam-Moschee offenbart Säulen und Kapitelle, die Figuren aus
der hinduistischen Mythologie tragen. Das islamische Gotteshaus wurde
teilweise aus Trümmern zuvor zerstörter Hindutempel errichtet. Bis heute
gibt es Konflikte zwischen den beiden größten Religionsgemeinschaften
des Landes. Mehrauli, Delhi 110030
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)